Thomas Dütsch leitet die Gespräche über Bücher in der Bibliothek Rümlang.
Am Mittwoch, 30. Oktober startet der nächste Bücherzyklus in der Bibliothek Rümlang für alle, die sich gerne in geselliger Runde über Gelesenes austauschen. Diesmal lautet das Thema «Frauen – mitten im Leben.»
Rümlang. Thomas Dütsch spricht leidenschaftlich gerne über Bücher mit Leuten, die sie ebenfalls gelesen haben. So ein Gespräch führt einen nochmals zurück in die Welt zwischen den Buchdeckeln, die man nach der letzten Zeile gedankenvoll – und allein – verlassen hatte. «Lesen ist ein einsamer Vorgang», sagt Dütsch. Das mache den Austausch nach der Lektüre umso attraktiver.
Dütsch ist Germanist, Gymnasiallehrer für Deutsch und Dozent an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seit einem Jahr ist er pensioniert. Er leitete die Gespräche über Bücher in Rümlang schon, als sie in den 80ern das erste Mal stattfanden. Damals war er noch Student. Später überliess er das Feld anderen Germanisten. 2012 kehrte er auf Anfrage der damaligen Bibliotheksleiterin zurück.
Aus dem Leben erzählen
Für jeden Bücherzyklus wählt Dütsch drei Bücher mit einem inhaltlichen Zusammenhang, der reichlich Gesprächsstoff liefert. Diesmal geht es um «Frauen – mitten im Leben.» Letztes Jahr sei es um Männer und das Sterben gegangen: «Arbeit am Vater» war das Thema. Die Teilnehmenden sprachen über ihre verstorbenen Eltern und über die strenge Erziehung der Väter. «Ich lasse die Leute gerne aus ihrem Leben erzählen», sagt Dütsch. Dieses Bedürfnis sei beim Vater-Thema ausgeprägt gewesen. «Literatur hilft, die eigene Lebenssituation zu verstehen. Das ist ihre Hauptleistung», erklärt der Germanist. Über die Bücher zu reden, vertiefe diese Erfahrung.
Für eine frühere Reihe habe er «Technik» als Thema gewählt. «Man geht anders durch die Welt, nachdem man Homo Faber von Max Frisch gelesen hat – wenn man begriffen hat, dass Technik Vorteile bringt, aber auch etwas Zerstörerisches hat.» Einmal wählte er Bücher von drei Russinnen, die in deutscher Sprache schreiben. «Von ihnen haben wir gelernt, wie wichtig das Herkunftsland bleibt, wie Traditionen lebendig bleiben, auch wenn man geflohen oder ausgewandert ist. Für jemanden ohne Migrationshintergrund war das sehr aufschlussreich. Das gab Gesprächsstoff weit über das Buch hinaus.»
Zu «Frauen – mitten im Leben» hat Dütsch drei neuzeitliche Werke ausgesucht, die von Frauen um die 50 geschrieben worden sind. Wie gewohnt, achtete er bei der Auswahl auf eine gut verständliche Sprache. Deutsche Literatur sollte es sein und nichts allzu Altes, das sei oft etwas schwerer zugänglich. Bis jetzt sei es ihm zudem gelungen, immer wieder neue Autorinnen und Autoren vorzustellen.
Mit dem Bleistift lesen
Dütsch rät, die Bücher mit dem Bleistift in der Hand zu lesen und Stellen zu markieren, die eine Frage aufwerfen, denen man zustimmt oder die einen aufregen. Das erleichtere es in den «Gesprächen über Bücher» auf eine bestimmte Stelle einzugehen. «Es kommt ab und zu auch vor, dass jemand teilnimmt, der das Buch, das besprochen wird, noch nicht gelesen hat», berichtet Dütsch. Das sei überhaupt kein Problem. Auch aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer seien sehr willkommen.
Vielfältige Diskussion mitgestalten
«Frauen – mitten im Leben» ist ein Thema, mit dem Dütsch sehr zielgerichtet Frauen mittleren Alters abholen möchte. Frauen, die sich im selben Lebensabschnitt befinden, wie die Autorinnen und die Figuren in den Büchern, würden der Diskussion eine spannende Dynamik verleihen. Die meisten, die regelmässig an den Gesprächsrunden teilnehmen, haben das «Midlife» schon hinter sich, verrät Dütsch. «Diese Gruppe würde sich über zwei, drei jüngere Stimmen sehr freuen», ist er überzeugt. Am Anlass willkommen sind alle, auch Männer, die ihre Frauen besser verstehen möchten. Und Menschen, welche die Rolle der Frau anders definieren als die Autorinnen. Je grösser die Vielfalt, desto lebendiger das Gespräch.
Nachher gibt’s Kuchen
Der Bücherzyklus dauert drei Abende. Jeder ist einem Werk und einer Autorin gewidmet. Nach einer kurzen Einführung finde ein fliessender Übergang ins freie Gespräch statt. «Wir sitzen alle um einen Tisch, reden etwa eine Stunde und essen nachher zusammen Kuchen und trinken Kaffee oder Tee.» Die Bibliothekarinnen räumen vorher extra Gestelle auf die Seite, damit genug Platz ist.
Dütsch freut sich auf den 30. Oktober und fügt selbstkritisch an: «Ich liebe diese Gesprächsrunden so sehr, dass ich aufpassen muss, die Gruppe mit meiner Begeisterung nicht zu überfahren. Zum Schluss hält er fest: «Ich arbeite sehr gerne mit der Bibliothek Rümlang zusammen - alle sind herzlich und zuvorkommend. Es ist allen Bibliothekarinnen ein grosses Anliegen, jedes Mal ein anregendes und offenes «Gespräch über Bücher» zu ermöglichen.
Die Handlungen der Bücher in Kürze
Alle drei Bücher des diesjährigen Bücherzyklus zum Thema «Frauen – mitten im Leben» handeln von Frauen, die im Leben angekommen, aber nicht glücklich sind. Das erste, «Kürzere Tage» von Anna Katharina Hahn, beschreibt auf anschauliche Weise das Leben zweier Frauen, die beruflich erfolgreich sind, Familie haben, aber unerfüllten Jugendträumen nachtrauern. Sie fühlen sich aufgefressen vom Alltäglichen. Die Autorin wirft einen Blick hinter die Wohlstandsfassaden von Stuttgart der Nullerjahre. Aus der Handlung ergibt sich eine Dramatik, die Leser und Leserinnen bis zur letzten Zeile gefangen hält. «Kürzere Tage» ist Thema am Mittwoch, 30. Oktober. Das zweite Buch kommt am Mittwoch, 22. Januar, an die Reihe. «Wünsche» von Judith Kuckart, erzählt süffig von einer Frau, die unter falschem Namen nach London reist und Mann und Sohn zurücklässt. Auf der Reise lässt sie ihre Vergangenheit Revue passieren. Kuckart gelingt es als souveräne Erzählerin die Grundstimmung der Protagonisten, die von Selbstbeschränkung und Melancholie geprägt ist, überzeugend einzufangen - Überraschungen inklusive. Am Mittwoch, 9. April, endet der Zyklus mit «Die Liebe im Ernstfall» von Daniela Krien. Fünf Frauen, die sich aus der Jugendzeit kennen und den Mauerfall miterlebt haben, treffen sich nach 15 Jahren wieder und erzählen einander ihre Lebensläufe, die sich auf unselige Art und Weise verstricken. Die Autorin führt die Lesenden nahe an die Figuren heran. Das Buch ist witzig, spannend in einer einfachen, zupackenden Sprache geschrieben. Die Bücher können in der Bibliothek Rümlang gekauft werden, wo auch die Gespräche stattfinden. Sie beginnen um 19.30 Uhr, eine Anmeldung ist nicht nötig.
Bernadette Dettling